Freitag, 17. April 2009

Niklas Luhmann: Engel mit Augen einer Fliege und Mefistopheles

Frage: ist das Deine Sicht auf die Dinge. Kanntest Du ihn persönlich?

Ja doch, sehr gut sogar, damals besser als der gewaltige Habermas, den ich zwar übersetzt hatte. Luhmann zog mich in seinen Bann durch seine glänzende schriftliche Sprache, die gerade nicht gekünstelt war, auch nicht im Sinn der echten Kunst, und auch durch seinen Humor zwischen den Zeilen. Habermas, der wütend wurde er als verstand, dass ich etwas abgdriftet war in die falsche Richtung, hat es sehr deutlich zu verstehen gegeben, and also sind Luhmann und ich und mein Freund Steve einmal aus einer Diskussion auf einer Konferenz zusammen heraus gegangen und haben philosophiert über den mangelnden Humor in Frankfurt.

Die luhmannsche Sicht der Dinge hielt sich bei mir noch einige Jahre, und einiges muss einfach bleiben. Aber seine Differenzphilosophie – es wurde langsam klar: Luhmann ist der gesellschaftstheoretische Pendant zu Derrida,für mich viel ergiebiger, obwohl auch einiges zugunsten von Derrida zu sagen ist – ist einfach die Gegenspekulation zum deutschen Idealismus in seiner Ganzheit, mit Natur- und Geschichtslehre usw, endend mit dem sich selbst erkennenden absoluten Geist. Luhmann ist der Gegen-Hegel. Hegel ist phantastisch, von produktivem Wahnsinn getrieben, auch zum Abschluss des Systems – aber die abschliessenden Gedanken kommen nur trocken, ja tot ins Ziel. Dasselbe gilt für Niklas Luhmanns spekulative Autopoiesis.

Als junger Mann hatte ich den Mode-Hegelianismus der Zeit abzuwerfen gelernt. Was blieb, war Hegels Rechtsphilosophie als historische Errungenschaft im 19 Jh. Bei Luhmann geht es um Vergleichbares für das 20 Jahrhundert. Die tiefsten spekulativen Vermutungen im deutschen Idealismus stammen von Schelling. Der junge Habermas war von Schelling - und Heidegger! – ausgegangen, von der blutenden Wunde in der Tiefe der Gottheit sozusagen. Er hatte noch nicht die Bedeutung von Kant ganz verstanden. Aber er hatte das Trockene in Hegel erkannt. Das wusste ich schon früh, aber seinen frühen Schellingianismus habe ich erst im letzten halben Jahr einigermassen durchdringen können, nach früheren Versuchen.

Der Ernst von Habermas kommt aus verschiedenen Quellen. Der Geist von Frankfurt ist ein wenig zu verbissen, ist Fortzetung des zweites Weltkriegess mit anderen Mitteln gegen Feinde, die natürlich andere geworden sin. Ich bin aber nun mal da zu finden, zwischen dem ernsthaft und hart argumentierenden Habermas einerseits und der engelsgleichen Fremdheit und dem Humor des Luhmann andererseits (er konnte unheimlich gut unendlich klein auf der Spitze einer Nadel stehen, brauchte aber nicht die Millionen anderer Engel am selben Platz zu haben, so lange er nur schreiben konnte oder sprechen mit seiner etwas mageren Stimme, man sah ihn da, obwohl unendlich klein, auf der Spitze, so lange man ihn hörte - dann sah man auch seine großen Augen, Weltenaugen wie die Augen einer Fliege.) Aber Habermas mit seiner blutenden Wunde hatte etwas mehr Recht, gerade argumentativ, und je länger ich lebe, je mehr Respekt habe ich bekommen, er ist einfach unbegreiflich gut, schon mit 24, wie ist es möglich. Ich, im Ausgangspunkt Kantianer, lernte langsam, seine lernende Rezeption in vielen Richtungen richtig zu verstehen, aber persönlich blieb ich etwas stecken zwischen der Engelsfliege der absoluten Gegenwahrheit zu Hegel und dem harten Arbeiter auf vielen Fronten, dessen unheimlich gescheite und bewegende Schelling-Dissertation ich zuletzt las.

Dabei har sich Luhmann zu Tode gearbeitet. Er war aber praktisch fertig mit seinen Vorhaben. Fürchterlich irgendwie, so auf der Spitze einer Nadel wie ein Wütender zu arbeiten –einsam eigentlich, völlig einsam, aber mit einer Art Sirenengsang der halbierten Vernunft (das heisst: mit einem gebrochenen Verhältnis zur normativen Dimension der Gesellschaft.) Luhmann, dessen Frau zwanzig Jahre vor seinem Tod starb (ich kannte auch sie), war trotzdem melancholisch Sisyphos-glücklich, und schaffte es sogar, den großen Stein endlich nach oben loszuwerden. Wo aber blieb die Wunde Gottes? Das Schlechte ist das Schlechte, das Böse das Böse, sagt Luhmann. Es ist einfach da, kann behandelt werden, aber wie immer mit Nebenwirkungen, die auch behandelt werden müssen. So ungefähr auch Hegel, der Gott in gewissen Sinn sagen lässt: es ist alles gut, ich habe es so gewollt, schon von Anfang an. Das sagt Luhmann nicht, da hört man statt dessen seinen Sirenengesang, der auch Freches enthielt, ein klein wenig Mephistofeles mitten im Engel. So sollte ein Gott mit einer Wunde doch nicht sprechen. Er bekommt keinen Erlöser, so was gibt es nicht. Wir müssen ihn beerben mit seiner ernsten Wunde. Nur dann vermögen wir es, die Menschen nicht ganz sterben zu lassen, die völlig unberechtigt durch die ganze Geschichte ins Nichts gestoßen worden sind. Ich stoße an die Grenze einer anständigen Sprache mit dieser Aussage. Man kann verstehen, dass der Engel sich etwas nüchterner verhält. Die sind so, die Wissenschaftsengel.